Zeitgeschichtlicher Hintergrund


Die Synagoge auf der Marktstarße 21 (entspricht heute ungefähr Marktstraße 23a)

 Vorgeschichte

 

Laut einer Volkszählung im Jahr 1925 lebten 63 Personen jüdischen Glaubens in Barsinghausen. Dort bestand seit 1843 eine Synagogengemeinde, der auch Mitglieder der Dörfer Winninghausen, Wichtringhausen und Hohenbostel angehörten. Im Jahr 1914 verkaufte die Stadt Barsinghausen ein Gründstück an der Marktstraße an die jüdische Gemeinde zum Synagogenbau.

 


Foto von der Marktstraße in Barsinghausen und Blick auf das jüdische Geschäft „Gebrüder Levisohn oHG"

 

 

Der Großteil der Juden gehörte der gehobenen Mittelschicht an und sie waren Kaufleute und Händler. Die Familie Levisohn unterhielt über mehrere Generationen hinweg ein Geschäft für landwirtschaftliche Produkte und Bedarfsartikel. Damit zahlte die Familie eine der höchsten Grundsteuersätze in Barsinghausen.

Sozial und gesellschaftlich waren die Juden in das örtliche Leben integriert. In dem Gesellschaftsklub „Thusnelda“ werden Aron und sein Bruder Josef Levisohn als Gründungsmitglieder aufgeführt. Zudem hat die Zeitung PDLZ an jüdischen Feiertagen die Barsinghäuser über jüdische Traditionen und Bräuche informiert. Auch über das 50 jährige Geschäftsjubiläum der Firma Gebrüder Levisohn im Jahr 1929 verfasste die Zeitung einen Artikel, in dem sie den guten Ruf des Geschäftes lobte und dem verbliebenen Geschäftsführer Josef viel Erfolg für die kommenden Jahre wünschte, nachdem sein Bruder Aron 1923 unter großer Anteilnahme der barsinghäuser Bevölkerung verstarb.

 

Erste Konflikte

 

Nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 konnten die ersten rassistischen Spuren in Barsinghausen erkannt werden. Im Winter 1933/4 wurde es dem jüdischen Lehrer Aron Cohen verboten, über christlich-kirchliches Gelände zu seinem Arbeitsplatz zu gehen. 1934 gab es die inoffizielle Forderung seitens der Nationalsozialisten keine Geschäftsbeziehungen mehr mit jüdischen Unternehmen einzugehen. Die jüdischen Unternehmen haben damit einen erheblichen Geschäftsrückgang erlitten, wodurch beispielsweise die Firma Gebrüder Levisohn 1936 aufgelöst wurde und das Grundstück an den landwirtschaftlichen Wirtschaftsverein Deister verkauft wurde.

Im August 1935 veranstalte die NSDAP eine Veranstaltung mit dem Titel „Freimaurerei und Judentum“, die sich mit der Lösung der Judenfrage beschäftigte. Es herrschte ein großes Interesse an der Veranstaltung. Über 700 interessierte Barsinghäuser kamen zum großen Saal des Kaiserhofs.

Die öffentliche Diskriminierung nahm immer weiter zu. Im weiteren Verlauf wurden jüdische Geschäfte von Werbeaktionen ausgeschlossen und 1938 wurde ein Badeverbot für Juden und Mischjuden, sogenannte Bastarde, eingeführt.

Auch den Jüngsten unter ihnen ging es nicht besser. Sigmund Weiss erzählte nachträglich von seiner Schulzeit.

 

Für mich ist es schlimm! Meine „Schulkollegen“ werden Tyrannen, kleine Hitlers. Sie fangen an mich zu schlagen, ich schlage zurück! Ich lasse mir nicht gefallen, sie sind aber viele, und ich bin allein. Ich schlage härter zurück, und sie bekommen Angst vor mir. Bald hetzt sie jedoch auch der Lehrer auf…Er haut mich immer mit dem Rohrstock. Ganze Banden folgen mir nach Hause und werfen Steine.“

 

 

Mitte der 1930er Jahre wurde außerdem der alte jüdische Friedhof am Deisterrand von Mitgliedern der örtlichen SS und SA geschändet. Auf dem seit 1910 nicht mehr genutzten Friedhof wurden Grabsteine umgeworfen und zertrümmert. Im letzten Kriegsjahr wurde sogar mit der Bebauung des Geländes begonnen. Dies konnte jedoch 1945 gestoppt werden, nachdem das 3. Reich endete.  


Die Polizei und die SS verhaftet die Kaufleute Sally Hirschberg und Siegfried Lehmann, den Schlachter Erich Seligmann und den Rabbiner Siegfried Rothschild.

 

 

Reichspogromnacht

 

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden auch jüdische Geschäfte und Gebäude in Barsinghausen zerstört. In den Geschäften wurden die Schaufenster zertrümmert und die Inneneinrichtung beschädigt. Auch in der Synagoge in der Marktstraße wurden Möbel zerstört und Wertgegenstände entwendet. Sechs jüdische Bürger wurden verhaftet und in eine Obdachlosenunterkunft gesperrt. Von dort wurden sie mit Lastwagen nach Hannover transportiert und durch die Gestapo verhört.

Es wurden insgesamt 15 480 Reichsmark sichergestellt, wovon 415,07 Reichsmark zur Begleichung von Unkosten behalten wurden.



 

Kurz nach der Reichspogromnacht gelang mehreren Juden die Flucht aus Barsinghausen und dem Großraum Hannover in Nachbarländer. Zwischen 1934 und 1936 emigrierten 17 jüdische Bürger aus Barsinghausen. Sieben von ihnen gingen ins Ausland.

Vom 15. April 1941 bis zum Februar 1943 wurden weitere 40 jüdische Barsinghäuser deportiert, von denen nur nachgewiesen sechs Personen den Holocaust überlebt haben.

Im April 1945 haben alliierte Truppen Hannover eingenommen. Die Amerikaner zählten bei ihrer Ankunft von den einst ca. 5000 in Hannover und der Region lebenden Juden lediglich 30 Verbliebene. Zu diesem Zeitpunkt gab es in Barsinghausen keine Juden mehr, da alle deportiert oder emigriert sind.  

 

 

 

 

Familie Lehmann

 

Der angehende Arzt Hans Lehmann emigrierte bereits im Jahr 1936 in die USA, nachdem er in Deutschland keine Zulassung mehr bekam. Sein Onkel Siegfried Lehmann wollte ihm im November 1938 gemeinsam mit seinem Bruder und dessen Frau folgen. Jedoch verzögerte sich die Abreise, weil die Auswanderungsvorbereitungen länger dauerten und sein Geschäft und die Wertgegenstände noch nicht verkauft waren. Im Juli 1939 verkaufte er sein Haus, jedoch verhinderte der Kriegsausbruch im September 1939 die Abreise mit einem Schiff von Rotterdam in Richtung Australien. Weitere Emigrationsversuche blieben erfolglos. Im Sommer 1940 wurde Siegfried Lehmann noch als Mieter seiner Wohnung in Barsinghausen geführt, da ein besonderes Mietrecht ihm die Wohnung bei gescheiterter Emigration sicherte.

Am 23. Juli 1942 wurde die gesamte Familie Lehmann in das Ghetto Theresienstadt deportiert worden. Siegfried starb in Theresienstadt am 6. September 1943. Seine Frau Sophie, die beiden Töchter Hilde und Lore, sowie der Sohn Walter wurden in das Konzentrationslager Auschwitz transportiert. Sophie und ihre Töchter wurden hier vermutlich am 6. Oktober 1944 vergast. Walter wurde nach Dachau befördert, wo er am 14. Januar 1945 ermordet wurde.

Am 20. August 1942 übernahm ein neuer Mieter das Haus, nachdem es „frei geworden“ war.

Siegfrieds Bruder Hermann Lehmann glückte die Emigration am 25. Februar 1939 nach einem kurzzeitigen Aufenthalt im KZ Buchenwald. Gemeinsam mit seiner Frau und seinem jüngsten Sohn fuhr er mit dem Schiff von Liverpool nach Sydney.

Quelle: Barsinghäuser Stadtarchiv